Tabuthema Abtreibung

Wer in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen
lassen möchte, muss sich laut Strafgesetzbuch vorher
in einer anerkannten Schwangerschaftskonflikt-
Beratungsstelle beraten lassen.

Harriet Rappmund und Isabel Mössner von der Schwangerschaftskonfliktberatung der Diakonie im Rhein-Neckar-Kreis bieten Frauen und Angehörigen, die diese schwierige Entscheidung treffen müssen, die Möglichkeit auf Beratung.

Es sei ihnen besonders wichtig, eine vertrauensvolle Basis für das Gespräch zu schaffen. Rappmund und Mössner stellen den Beratungsschein zum straffreien Abbruch aus. Darüber hinaus biete die Diakonie Beratung zu den Themen Familienplanung, verschiedenen Lebens- und Familiensituationen, sowie Kinder- und Elterngeld und helfe auch bei sozialen beziehungsweise rechtlichen Fragen. „Viele sind sich zum Beispiel nicht bewusst, welche finanzielle Unterstützung ihnen durch den Staat zusteht“, erklärt Rappmund.

„Es gibt bis heute kein zu hundert Prozent sicheres Verhütungsmittel. Im Grunde kann man sagen: Jede Frau kann innerhalb ihrer fruchtbaren Phase jederzeit schwanger werden. Auch trotz Verhütung.“

Dabei sei das enorm wichtig und könne durchaus die Entscheidung für eine Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtern. Die Beraterinnen stehen unter Schweigepflicht und auf Wunsch können die Gespräche auch anonym stattfinden. „Die schwangeren Frauen müssen bei uns nichts mitbringen. Keinerlei Überweisung, schriftliche Bestätigung einer Schwangerschaft oder Ähnliches“, fügt Mössner hinzu. Und ganz wichtig: Die Beratung ist kostenlos.

Ohne den Beratungsschein ist eine Abtreibung in Deutschland strafbar. Außerdem dürfen seit der Empfängnis maximal zwölf Wochen vergangen sein. Ausnahmen von diesen Regeln gelten nach einer Vergewaltigung oder wenn es medizinische Gründe gibt. Seit 150 Jahren werden Schwangerschaftsabbrüche in unserem Land über das Strafgesetzbuch geregelt. Diese Tatsachen bedauern die Beraterinnen. „Ausgerechnet in den Momenten, wo Frauen entsprechende Unterstützung brauchen, steht bei das Wort „Pflicht“ voran“, kritisiert Mössner, „unsere Beratung sollte eher als Option und Beistand gesehen werden.“

Auch der Fakt, dass laut Strafgesetzbuch § 219 das Werben für Schwangerschaftsabbrüche verboten ist, stößt bei beiden Frauen auf Unverständnis. „Die reine Information über den Abbruch auf zum Beispiel der Homepage einer Arztpraxis ist als Werbung deklariert. Das verfehlt allerdings die Situation. Eine Frau in solch einem Konflikt sucht sicherlich nicht nach Werbung. Für die reine Aufklärung ist die Informationsvorsorge enorm wichtig“, erklärt Rappmund.

Seither darf auf einer Website zwar stehen, dass Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen, aber nicht, welche Methoden sie anbieten, also ob sie einen medikamentösen und/oder chirurgischen Abbruch durchführen.

Update: Justizminister Marco Buschmann (FDP) legte am Montag, den 17.01.2022 einen Entwurf für die Aufhebung von Paragraf 219a Strafgesetzbuch vor, der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet.

Rappmund kann für unsere Region beruhigen: „Wir sind sowohl mit Praxen als auch mit Kliniken aktuell noch gut versorgt. Aber viele der uns bekannten Ärzte werden in den nächsten 10 Jahren in Rente gehen und dann kann es auch hier zu Engpässen kommen.“ Die Problematik in diesem Zusammenhang sei laut Rappmund oftmals die fehlende medizinische Ausbildung. „Dieser wichtige Teil kommt im Medizinstudium kaum vor und das ist fatal“, erklärt sie. Angesichts der Versorgungslage und der Aussichten für die Zukunft, müsse sich dies laut den Beraterinnen unbedingt ändern.

Abtreibungsgegner

Demonstrationen, private Belästigungen bis hin zu Drohbriefen – die Möglichkeiten wie sogenannte Abtreibungsgegner ihren Unmut kundtun, kann ganz unterschiedlich sein. Ihr gemeinsames Credo jedoch: Abtreibung ist Mord. Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden sind demnach Mörder. Laut ihnen muss Leben geschützt werden und das beginne ihrer Ansicht nach mit der befruchteten Eizelle.

„Im Rhein-Neckar-Kreis ist die Lage mit den Abtreibungsgegnern zum Glück nicht ganz so massiv wie in anderen Regionen. Dennoch haben wir ebenso unsere Erfahrungen machen müssen. Wir hatten schon Flyer mit zerstückelten Föten an unseren privaten PKW oder im Briefkasten der Beratungsstelle“,

schildert Rappmund aus ihrer jahrelangen Erfahrung. „Wir würden uns wünschen, dass solche Gegner vielmehr auf die einzelnen Schicksale der Frauen blicken, hinterfragen und sich die Beweggründe genauer anschauen. Mit dem Prinzip, grundsätzlich dagegen zu sein, machen es sich Abtreibungsgegner zu einfach“, sagt Rappmund. Dass Menschen verschiedene Meinungen vertreten sei normal, es werde problematisch, wenn andere dadurch massiv belästigt werden. 

Von Jessica Ludwig | wnoz.de

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