Mit Pille und Pulver zum Glück?

Wenig Zeit, viel Stress und ein ungesunder Lebensstil.
Dazu kommen überflüssige Pfunde auf den Hüften – und fertig ist das Unzufriedenheitspaket. Das Gefühl, keine Zeit für die eigenen Bedürfnisse zu finden, lockt immer mehr junge Menschen in fragwürdige „Lebensverbesserungsangebote“ in den sozialen Netzwerken.

Glücklicher, gesünder, schöner – Versprechen für ein besseres Leben. Das verheißen private Gruppen in den sozialen Netzwerken wie die „Love Yourself Journey“, „Special Movement“ oder „Challenge your life“. Sie alle basieren auf einer Multi-Level-Marketing-Strategie der Firma Juice Plus. „Meine Freundin nimmt täglich die Produkte ein. Sie hat sogar Riegel, die eine gesamte Mahlzeit ersetzen sollen – und das ist angeblich gesund. Sie versucht Leute anzuwerben und ist auf Firmenreisen, auch im Ausland“, schreibt die Instagram-Userin Louise K. aus Nieder-Liebersbach der WN/OZ-Redaktion.

Andere User berichten von Erfahrungen mit Übelkeit und Bauchschmerzen. Auch unsere Redakteurin wurde von einem „Love Yourself Journey“-Coach angeschrieben, um mithilfe des sogenannten Powerfoods ihr Leben zu verbessern. In einem persönlichen Telefonat bleiben jedoch viele Fragen unbeantwortet.

Wer steckt dahinter?

Die Produkte der „Love Yourself Journey“ bietet die Firma Juice Plus mit verschiedenen Vitaminkapseln und zwei Shakes in der Geschmacksrichtung Schokolade und Vanille an – das Powerfood. Ein Nahrungsergänzungsmittel mit Eiweiß, Ballaststoffen, Mineralstoffen und Vitaminen, dazu vegan und glutenfrei. Die Firma wirbt auf ihrer Seite mit dem Slogan „Du willst dich gut fühlen und gut aussehen? Es ist deine Entscheidung!“. Das Unternehmen beruft sich auf 20-jährige Erfahrung und „dem besten aus Obst und Gemüse“ für ein neues Lebensgefühl.

Die Stiftung Warentest sieht das kritisch. Die teuren Obst- und Gemüsekapseln der Firma sind „mit Vorsicht zu genießen“, lautet das Fazit auf ihrer Internetseite. Auf Nachfrage bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg bestätigt Sabine Holzäpfel, zuständig für den Bereich Lebensmittel und Ernährung, dass sie Juice Plus schon länger beobachten. Es seien auch zahlreiche Beschwerden in den letzten Jahren eingegangen. Das Problem sei aber, dass sich die Werbestrategie der Firma in einer Grauzone bewege: „Es ist eine Werbemasche, die an den Behörden und Kontrollen vorbeigeht. Die Beratung, der Verkauf, die Werbung finden in privaten Chats statt. Es gibt gesetzliche Regelungen, wie Produkte beworben werden dürfen. Doch die Posts und Unterhaltungen werden bewusst als Meinungsäußerung und Selbsterfahrung formuliert. Daher ist es rechtlich nicht angreifbar.“ Über die sozialen Medien gehe das private Anwerben auch über die Ländergrenze hinaus, was die Nachverfolgung noch schwieriger gestalte. „Zumal die Bezeichnungen regelmäßig wechseln. Mal ist es eine Challenge mit Pillen, mal eine Journey mit Shakes. Das System bleibt aber gleich“, sagt Holzäpfel. Bezeichnend für die Experten der Verbraucherzentrale seien die Formulierungen in den Anschreiben, die Verwendung von bestimmten Emojis sowie Begrifflichkeiten, die sich wiederholen und bezeichnend für diese Werbestrategie seien. 

Die Wirtschaftswoche (WiWo) bezeichnet die Produkte in ihrem Artikel „Das große Geschäft mit Vitaminen“ sogar als gesundheitsschädlich. Auch von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen wird berichtet. Zumal Nahrungsergänzungsmittel keinen gesetzlichen Vorschriften unterliegen. Sie müssen auch keine Tests auf Wirksamkeit oder Nebenwirkungen durchlaufen.

Bereits erwähnte Nebenwirkungen schildert auch Laura R. aus Hemsbach unserer Redaktion auf Instagram. Sie erhielt die Shakes von einer Freundin. „Der erste Shake war für mich noch in Ordnung. Dann habe ich jeden Morgen einen getrunken und ab da wurde es mir jedes Mal schlecht. So sehr, dass ich mich übergeben musste.“
Neben dem gesundheitlichen Aspekt ist auch das Anwerben neuer Mitglieder ein suspekter Teil des Multi-Level-Marketing-Systems. Die junge Zielgruppe wird auf Instagram von Coaches angeschrieben. Die Profile der Werbenden sind ansprechend, mit glücklichen Menschen, die ihr Leben durch das Powerfood verbessern und dadurch auch einige Kilos an Gewicht verloren haben. Hinzu komme eine Community mit vielen Gleichgesinnten, die das eigene Vorhaben jederzeit unterstützen, und die kostenlose Beratung durch den jeweiligen Coach; gewissermaßen ein Freund und Berater in Sachen Ernährung und Fitness, der dem Hilfesuchenden 24 Stunden zur Seite steht.

Auf der Seite der Stiftung Warentest äußert sich ein Kommentator: „Ich bin erschrocken, dass hier keiner auf die Vermarktungsart der Produkte aufmerksam macht, die in Kombination mit der Wirkung gefährlich ist. Sich einschleimende Jünglinge schreiben einen über Social Media an und sorgen mit falscher Aufklärung dafür, dass sich die Menschen diese Pillen kaufen.“ Mit „einschleimende Jünglinge“ meint der Verfasser die Coaches. Ein nicht geschützter Begriff in Deutschland, sodass sich jeder – ohne jegliche Ausbildung – als Coach bezeichnen kann.

Das perfekte Lebensgefühl

Gelockt werden Interessenten mit dem Wunsch nach dem „perfekten Lebensgefühl“. Ein Gefühl, das von der Community der „Love Yourself Journey“-Coaches unterstützt und verkauft wird. Dem Kunden wird vermittelt, dass er sich nur mit den Produkten und der Unterstützung aus der Gruppe gut fühlen kann. Eine verlockende Masche, hinter der ein ausgeklügeltes System steckt. Denn die Produkte sind teuer und ein Abo für vier Monate verpflichtend. Eine Box mit den beiden Juice-Plus-Shakes kostet knapp 200 Euro. Bei täglichem Verzehr bräuchte ein Konsument zwei bis drei Pakete für die Abo-Laufzeit.

Daran verdient auch der Coach –es sind 20 Prozent, wie unsere Redaktion in dem Telefonat erfährt. Sie habe eine eigene Community von rund 60 jungen Frauen. Ihre Zielgruppe seien jüngere Instagram-Userinnen und Mütter, die sie immer und zu jeder Zeit kontaktieren könne. Sie und ihre Kinder würden die Shakes mehrfach am Tag verzehren. Die „Love Yourself Journey“ baue nach ihren Angaben auf drei Säulen auf: Das Powerfood, etwas Sport am Tag und viel Wasser trinken. Nach einem abgeschlossenen Abo dürfe man Mitglied ihrer WhatsApp-Gruppe werden; hier unterstütze man sich täglich.

Angeboten werden zudem Online-Workshops über Ernährung, Bewegung, Zeitmanagement und alles, was das persönliche Wohlbefinden fördert. Das Kontaktieren einzelner Mitglieder auf WhatsApp ist untersagt und die Kommunikation läuft rein über die Gruppe. „Die Probleme Einzelner können hier auch besprochen werden. Jeder, wie er mag“, so der Coach und ergänzt, „aber alles mit guter Laune. Schlechte Nachrichten oder negative Schwingungen wollen wir nicht.“ Dafür opfere sie gerne ihre Zeit. Denn die Gruppe sei ihr persönliches Heiligtum und ihr Engagement basiere auf Nächstenliebe, versichert sie. Auf die Frage nach ihrer Qualifikation erzählt sie ihre Lebensgeschichte. Es gibt von ihr keine Rückfrage nach Allergien, gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder körperlichen Beschwerden. Im Fokus steht der Mangel an Zeit für die eigenen Bedürfnisse: „Ein Tag müsste mehr als 24 Stunden haben.“

Sie berichtet, wie viel Zeit sie durch die Einnahme der Shakes spare. Wie gesünder sie und ihre Kinder sich fühlen würden. Sie untermauert ihre Schilderungen mit zugeschickten Audioaufnahmen von Gruppenmitgliedern, die über ihr besseres Leben durch die „Love Yourself Journey“ berichten. Jeder Kunde sei ihr wichtig.

Die Vermarktung und der Verkauf über ein Schneeballsystem ist in Deutschland verboten. Das gilt nicht für das Multi-Level-Marketing. Der Coach verdient damit nur bis zum fünften Kunden mit. Das bedeutet, der Coach wirbt einen Kunden, dieser wirbt einen weiteren und das bis zur fünften Person.

Corinna J. aus Weinheim schreibt uns dazu auf Instagram: „Ich habe selbst sehr schlechte Erfahrungen auf Social Media mit dem Anwerben für diese Produkte gemacht. Ich habe viele und wirklich sehr penetrante Nachrichten erhalten. Dabei wurde mit meinen Ängsten gespielt und mir wurde ein schlechtes Gewissen mit Sätzen, wie ‚ist dir deine Gesundheit keine 2 Euro am Tag wert?‘ gemacht. Auf die Frage, wie das Pulver genau zusammengesetzt sei, gab es die Erklärung ‚Beim Paprikapulver aus dem Supermarkt fragst du das auch nicht, oder?‘ Für mich ist diese Methode ein absolutes No-Go, da sie gezielt an junge Mütter und junge Menschen gerichtet ist.“

Freunde als zahlende Kunden

Die Hamburger Morgenpost betitelt dieses Vorgehen in einem Artikel mit dem Titel „‚Wie eine Sekte‘ – Abzock-Masche mit den Frucht-Pillen“. Hier geht es um die falschen Versprechungen, die angehenden Coaches gemacht werden. Schnelles und einfaches Geld sowie kein Vorgesetzter und grenzenlose Freiheit. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn in Mitleidenschaft werden Freunde, Familienmitglieder und Bekannte gezogen. Auch die bereits am Anfang erwähnte Userin Louise K. wurde von ihrer Freundin angeworben und erhielt einen Einblick: „Meine Freundin wurde von zwei Nachhilfeschülern angeworben. Später hat sie mir davon berichtet, dass die Produkte bereits Wirkung zeigen. So sei ihre Haut reiner und sie hätte bereits Gewicht verloren. Dazu muss man aber sagen, dass sie täglich vier Liter Wasser trinken, Sport machen und sich nicht mehr schminken soll. Hinzu kommen wöchentliche Meetings und täglich Pillen und Shakes. Wir sind weiterhin befreundet, aber leider auch etwas distanzierter als zuvor.“ Es bedarf keiner langen Google-Suche, um auf ähnliche Fälle zu stoßen. In verschiedenen Foren bitten Angehörige um Rat. Auf gesundheitsfrage.net schildert eine Mutter ihre Sorgen, da ihre 32-jährige Tochter nicht mehr wiederzuerkennen sei. Sie schreibt von „Wesensveränderung“ und einem „aggressiven Verhalten“, spreche man sie auf das System und die Produkte an.

Im Gespräch mit „unserem“ Coach wird der Produktname nie erwähnt. Auf Nachfrage wechselt sie das Thema. Sie erzählt eine von „unzähligen Erfolgsgeschichten“ und erklärt erst auf beharrliches Nachfragen, dass der Produktname „nichts zur Sache tut“. Die Produkte könne man auch online über den Hersteller kaufen. Aber ohne ihre Unterstützung und die Hilfe aus der Community mache das wenig Sinn – die 20 Prozent Provision würde sie dann auch nicht erhalten.

Funktioniert das Programm der „Love Yourself Journey“ auch ohne das Powerfood? Sie sagt nein. Dass die Unterstützung Gleichgesinnter das Selbstwertgefühl aufbauen und ein geplantes Vorhaben unterstützen kann, belegen zahlreiche sozialwissenschaftliche Studien über die Auswirkung der Gruppendynamik in verschiedenen Bereichen. Das kollektive Problem aller Journey-Gruppenmitglieder sei der Zeitfaktor, erklärt der Coach. An diesem Aspekt könne man nur selbst etwas ändern, täglich mindestens einen Shake trinken und Sport machen. Ob man die Zeit, die man in die Gruppe und für das Powerfood investiere nicht besser zum Kochen und Sport nutzen könne, um den gleichen Effekt zu erzielen, lehnt der Coach ab. Nur so funktioniere die „Love Yourself Journey“ und nur so könne man sich besser fühlen.

Von Sandra Kettenmann

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