
Das „Quicky“ in der Mierendorffstraße in Weinheim ist ein Swingerclub, der im April sein 30-jähriges Bestehen feiern würde – wäre da nicht Corona.
„Wir spielen mit der Lust auf fremde Haut und das ist aktuell nun mal nicht möglich“, erzählt Gies im Gespräch mit Redakteurin Jessica Ludwig im aktuellen WN/OZ-Podcast „Jessica checkt“. Seine Lage sieht er dennoch entspannt und hat zu der aktuellen Situation eine lebensfrohe Einstellung: „Swingen ist ein wichtiger Teil in unserem Leben. Deshalb freuen wir uns umso mehr, wenn wir die Clubs wieder öffnen können. Dieses Miteinander ist ein Privileg und das sollten wir nicht vergessen.“ Damit nicht genug, er zieht aus seiner momentanen Zwangspause sogar ein positives Resümee: „Als Clubbetreiber ist man eher nachtaktiv. Jetzt kann ich bei Zeiten ins Bett und gemeinsam mit meiner Frau frühstücken. Das genieße ich sehr.“
Das Objekt der Begierde
Peter Gies ist seit 40 Jahren in der Swinger-Szene aktiv, war Gast in sämtlichen Clubs in ganz Europa und hat sich die Gepflogenheiten vor Ort näher angeschaut. Und so tief er in dieser Szene verwurzelt ist, so souverän reagiert er auf die Konfrontation mit Vorurteilen. Eines davon bezieht sich auf die Rolle der Frau: Ist sie nur ein Objekt der Begierde? Für Peter Gies lautet die Antwort Ja und Nein zugleich. Er erklärt, dass Frauen für Männer diese Rolle durchaus einnehmen. Bei den Swingern gelte aber das Matriarchat – die Frau hat das Sagen. Dafür gebe es Regeln, die weltweit und ohne weitere Sprachkenntnisse gültig seien.
„Man darf die Frau berühren und bekundet somit sein Interesse, am Akt mitzuwirken. Möchte sie das nicht, entfernt sie die Hand vom jeweiligen Körperteil.“ Für den Herrn ein klares Signal, dass die Dame seiner Wahl kein Interesse hat. Aber kann es dabei nicht Missverständnisse geben oder ein Signal falsch gedeutet werden? Gies erklärt: „Versucht es der Mann ein zweites Mal und die Frau entfernt die Hand erneut, ist das unmissverständlich. Wer es dann noch nicht verstanden hat, bekommt die Rote Karte.“ Im Klartext bedeutet das, der Lüstling wird dem Personal oder direkt dem Chef gemeldet. Es folgt ein Gespräch und bei Uneinsichtigkeit ein Platzverweis. „Das kommt so ein- bis dreimal im Jahr vor“, versichert er als dienstältester Clubbetreiber in ganz Deutschland.
Völlig frei und grenzenlos ist das Swingerleben also nicht. Es gibt klare Regeln für ein friedliches Miteinander. Dazu zählt auch das strikte Handyverbot. Peter Gies berichtet über den Ablauf eines Clubbesuches: Paare und Singles treffen ein, sie ziehen sich um – Männer tragen schicke Slips, die Damen reizvolle Wäsche. Man redet und isst gemeinsam. Dann werden die Räumlichkeiten zum Vergnügen aufgesucht. Im Anschluss findet man sich erneut an der Bar oder am Büfett ein. Man isst, tanzt und plauscht weiter. „Dabei sind unsere Gäste zwischen vier und acht Stunden im Club, und nie sieht man auch nur ein einziges Handy“, bestätigt er. „Kleidung und Wertsachen, wozu auch das Handy gehört, werden in der Umkleide in einem Spind eingeschlossen. Das wissen unsere Gäste.“
Fremdgehen mit Erlaubnis?
Laut Gies ist Swingen Frieden, auch in der Ehe. Ist Swingen also die Lizenz zum Fremdgehen mit Erlaubnis? Der Szenekenner antwortet mit einem klaren Nein. „Fremdgehen basiert auf einer Lüge. Ich treffe mich im privaten Rahmen mit einer anderen Person, die ich begehre, und erzähle meinem Partner davon nichts. Das ist beim Swingen anders und somit kein Betrug.“ Gies ist selbst zum dritten Mal verheiratet, hat Kinder und inzwischen auch Enkelkinder. Für ihn und seine Frau hat das Swingen klare Grenzen.
Denn der Sex mit anderen Menschen findet im geschlossenen Rahmen der Clubs statt. Außerhalb dieser Szene würde er nicht ohne Weiteres mit anderen Menschen sexuell aktiv werden. Für den Clubbetreiber beginnt das Fremdgehen im Kopf. So hat für ihn der Betrug nicht unmittelbar mit Geschlechtsverkehr zu tun. Ein privates Treffen mit dem anderen Geschlecht, ein Spaziergang, eine Verabredung zum Kaffee mit einer Person, an der man interessiert ist, sind für ihn und seine Frau tabu.
Gies trennt dabei klar das Emotionale und den sexuellen Akt. Für ihn ist das Swingen die Lust, das andere ist die Liebe zu seiner Frau. Offenheit und Ehrlichkeit bestimmen die Ehe der beiden. Diese Attribute sind auch im Gespräch mit der Redaktion spürbar. Er erzählt vom Verkehr mit einer für ihn attraktiven und wesentlich jüngeren Dame. „Ich fand es faszinierend, denn plötzlich dachte ich an meine Frau.“ Die Vorstellung, diesen Moment mit ihr zu teilen, ihr davon zu berichten und sie daran teilhaben zu lassen, habe er als „göttlich“ und „wunderschön“ empfunden. „Wir sind zum einen monogam und zeitgleich polygam, das hat was“, sagt er schmunzelnd. Laut dem Clubbetreiber seien Swingerehen stabiler und würden seltener geschieden. Er begründet seine Aussage mit dem Argument, dass die Ehe eines Swingerpaares lustvoller gestaltet wird als eine Durchschnittsehe.
Persönliche Grenzen
Bei allen Freiheiten gibt es für Peter Gies auch Grenzen – zum Beispiel in Sachen Sado-Maso (SM). In seinem Club findet in regelmäßigen Abständen eine SM-Motto-Party statt. Ein Gastpaar führt dabei durch den Abend und weist die Gäste in die Handhabung der „Spielgeräte“ ein. „Bei Klemmen an den Brustwarzen und Gewichten am Hoden ist bei mir aber Schluss“, sagt der Clubbetreiber.
Verhütung und Sicherheit
An bestimmten Punkten sollte ein Swinger das eigene Bedürfnis nicht in den Vordergrund stellen – egal ob männlich oder weiblich – wie bei den Themen Sicherheit und Verhütung. Peter Gies bestätigt, dass Kondome ein Muss in den Swingerclubs sind. „Wir kaufen die im 1000er-Pack als Einheitsgröße.“ Er kann nicht versichern, dass alle männlichen Gäste sie tatsächlich auch benutzen. Wenn ein Paar den Akt genießt und andere Gäste sich anschließen, sei es die persönliche Angelegenheit der Teilnehmer, ob man nun verhüte oder nicht. „Das können wir natürlich nicht immer kontrollieren.“
Sex ist nicht gleich Sex
Während der Pandemie waren bestimmte Praktiken im Bereich der Prostitution mit nur zwei Personen noch erlaubt. „Beim Swingen geht das nicht. Bei uns steht die nackte Haut im Vordergrund. Und das mit mehreren Menschen, als Gruppe in einem Raum.“
Für den Swinger ist die Schließung eine schwere Zeit. Er drehe jeden Euro fünfmal um, bekomme aber Hilfe, unter anderem vom Staat. „Wir sind nicht systemrelevant und das ist auch okay. Aber wenn die Zeiten besser werden, ist Swingen für mich das Sahnehäubchen im Leben und darauf freue ich mich sehr.“