Die Liebe zum Nachbarland

Es muss nicht immer Australien sein: Statt der beliebten „Work and Travel“-Touren habe ich fünf Wochen in Frankreich verbracht und dort studiert – und es war die beste Zeit meines Lebens.

Alle wollten sie weit weg. Australien, Neuseeland, Thailand. Nach dem Abi waren viele meiner ehemaligen Klassenkameraden erst einmal in der großen weiten Welt unterwegs. Sie erkundeten Urwälder, ferne Länder, aßen gegrillte Heuschrecken und nutzten die Ausrede „Work and Travel“, um einfach nur zu reisen und die Zeit ihres Lebens zu verbringen.

Und ich? Ich war wohl anders. Zumindest kam mir dieser Gedanke kurz nach dem Abi, als ich noch immer keinen Fuß außerhalb von Europa gesetzt hatte.

Ich wollte zwar weg. Aber nicht um jeden Preis.

Endlich das Abi in der Tasche – jetzt geht das richtige Leben los! Erstmal verreisen. Doch das wollte ich nicht um jeden Preis.

Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich mir: Mich reizte es nicht, mein mühsam zusammengespartes, mickriges Taschengeld gleich in den Flug für eine ferne Reise zu stecken.

Fast zeitgleich kam der Tipp meines Onkels: Warum gleich so groß denken? Klein ist doch auch fein: Warum lernst du nicht einmal die Kultur und Sprache in Frankreich kennen? Frankreich, dachte ich mir, nun gut. In Paris war ich schon einmal, allerdings war das der pure Touristen-Trip. Zugegeben: Ich gehörte schon zu denen, die Französisch als Leistungskurs am Gymnasium gewählt hatten. Ja, so eine Art Mensch bin ich. Und doch: So wirklich gewandt waren meine sprachlichen Kenntnisse trotz alledem nicht. Also: Warum nicht? Mein Onkel, der damals im Partnerschaftsverein Hirschberg für die Praktika zuständig war, unterstütze mich bei der Organisation meines Vorhabens. Es sollte die Reise meines Lebens werden – nur wusste ich das in diesem Moment noch nicht.

Was ich wusste, war, dass ich werde fünf Wochen als Praktikantin in einer französischen Kommunikationsagentur im 500 Kilometer entfernten Lyon sein. Und wer hätte es gedacht: Der Aufenthalt wurde zu einem der schönsten, die ich je verbringen sollte. Zwar haperte es mit der Sprache, den Gewohnheiten und der Verständlichkeit, doch in Lyon fühlte ich mich dennoch von Anfang an wohl.

Wieder zurück in Weinheim, hatte ich nachhaltig Feuer für Frankreich gefangen. Der Kontakt zu den französischen Freunden, die ich mir dort kennengelernt hatte, ließ mich sicherer im Französischen werden. Ich lernte auch umgangssprachliche Begriffe kennen – auf Französisch zu fluchen, Missverständnisse zu klären, auch mal Slang reden – das wahre Leben eben, nicht nur das, was man in der Schule lernt. Ich nahm sogar ein Französisch-Studium auf, obwohl ich bis dahin gar nicht wusste, dass ich das machen wollte.

Ich lernte, auf Französisch zu fluchen, Missverständnisse zu klären, auch mal Slang reden – das wahre Leben eben.

Mit der Zeit kehrte der Studienalltag ein. Zwar setzte ich mich in den Seminaren mit Frankreich und seiner Sprache auseinander, so richtig reichte mir das nicht – ich wollte wieder im Land sein, aktiv am Leben dort teilhaben, mein Französisch-Niveau ausbauen. Ein Ehrgeiz, den ich sonst nicht von mir kenne, hatte mich gepackt. Und wieder kam das Glück praktisch wie von allein zu mir: Meine Uni, die Goethe-Universität in Frankfurt, ist ausgerechnet mit der Université Lumière in Lyon verschwistert! Auf den letzten Drücker vor dem Wintersemester 2013/14 bewarb ich mich für ein Auslandsstudium. Dann kam die Mail, dass ich zugelassen bin für ein année scolaire – zwei Semester. Neun Monate in meiner Lieblingsstadt!

Über leboncoin – praktisch das „ebay Kleinanzeigen“ für Frankreich – fand ich eine nette WG bei einer älteren Dame. Die Anreise verlief blenden, der Aufenthalt konnte beginnen. Zuvor war ich an meiner Uni ideal auf die Monate an der französischen Uni vorbereitet worden. Das Erasmus-Programm bezuschusste die Reise durch eine kleine Finanzierung. Wieviel, das hängt von der Länge des Auslandsstudiums und dem jeweiligen Land ab – aber das sagen euch die entsprechenden Auslandskoordinatoren an eurer Uni.

Allerdings ist das Studieren im Ausland kein Zuckerschlecken, bei dem man sich genüsslich zurücklehnt und ab und an einmal in der Uni vorbeischaut. Schließlich gibt es die Anforderung, eine Übersicht über die Kurse, die ihr an der ausländischen Uni belegt, abzugeben, und auch die Klausuren mitzuschreiben, sodass die Noten „daheim“ in Deutschland angerechnet werden. Besteht man die Kurse, sammelt man Credit Points. Dank derer macht sich die Mühe im Ausland dann auch an der Heimatuni bezahlt. Am Ende jeden Semesters müssen die erbrachten Leistungen an die Heimatuni gemeldet werden. Auch ein Bericht über den Aufenthalt wird gefordert. Ich war, zugegebenermaßen, eine sehr strebsame Studentin (keine Sorge, Studentenpartys habe ich dennoch massig gefeiert!), habe alle Klausuren mitgeschrieben und die Noten anrechnen lassen. So konnte ich zwei Semester an einer anderen Uni verbringen, und nach meiner Heimkehr weiterführenden Seminare in Frankfurt belegen.

Studieren im Ausland ist kein Zuckerschlecken – zumindest, wenn man sich die Leistungen hinterher anrechnen lassen möchte.

In Frankreich ist die Anerkennung für geleistete Kurse und Klausuren übrigens verhältnismäßig streng reglementiert. Benotet wurde ich wie jeder französische Student auch. Weil meine Sprache noch nicht perfekt ist, hat mir das natürlich einige blöde Fehler eingebracht, doch oft walten die Professoren sehr verträglich und verständnisvoll, sodass man nicht gleich mit einem allzu schlechten Durchschnitt leben muss. Manche bürokratischen Angelegenheiten waren durchaus anstrengend – das Einreichen der Nachweise für die Noten etwa. Doch an den Partner-Unis gibt es immer eine Anlaufstelle mit Zuständigen, die alle Fragen beantworten: Welche Kurse muss ich belegen? Was sind die Anforderungen? Wo registriere ich mich? Auf all das gibt es Antworten.

Aber dann gibt es auch noch das Wichtigste: das „echte“ Leben in dem anderen Land. Das habe ich mir in Lyon schrittweise aufgebaut. Erstmal musste ich mich einleben, eine Fahrkarte für die Metro und die öffentlichen Fahrräder anfertigen lassen, den nächsten Supermarkt auschecken, meine Studentenkarte beantragen. Solche Sachen eben. Alles andere kam unverhofft: Ich habe mich verliebt, entliebt, Sport gemacht, Ausstellungen besucht, Flohmärkte abgecheckt, hatte kurz Heimweh, dann ging es wieder, und ich habe mit Franzosen, Spaniern, Armeniern, Brasilianern und vielen anderen Menschen unterschiedlicher Nationen Partys gefeiert – mal ging es zu lang, mal endete es kürzer als geplant 😉 Ich habe außerhalb des Erasmus-Programmes die Gegend um Lyon kennengelernt, Ausflüge gemacht, Kino-Abende und DJ-Konzerte besucht. Kurzum: Ich war glücklich.

Doch was soll das Ganze nun EUCH sagen, die nach dem Abi reisen wollen oder die sich fragen, ob sich ein Auslandsstudium rentiert?

Mein Fazit

Wer kein allzu großes Budget hat, muss nicht in die Ferne schweifen, um Impulse für seine weitere, berufliche Zukunft zu bekommen oder den tristen Uni-Alltag gegen neue Eindrücke zu tauschen. Denn selbst die Erfahrungen, die man innerhalb Europas macht – was nicht allzu fern erscheint und vielleicht nicht reizvoll klingt – prägen, sind charakterformend, stärken dich in dem, was du immer wolltest oder zeigen dir, was du danach vielleicht doch nicht mehr willst.

Manchmal reicht auch schon das Naheliegendste: eine Zeit lang nach Portugal, Spanien oder Italien zu gehen und das Nützliche mit dem Praktischen verbinden. Dort studieren, zu arbeiten oder ein Praktikum zu machen. Ein Aufenthalt oder ein Studium in einem europäischen Land hilft dir, offener und kontaktfreudiger zu werden, Freunde zu finden oder ganz einfach eine andere Lebensweise und Kultur kennenzulernen.

Wer hilft euch dabei?

Eine gute Anlaufstelle sind örtliche Vereine, die die Partnerschaft zu den Partnergemeinden in anderen Städten oder Gemeinden pflegen, fördern den Austausch zwischen Jugendlichen.

Und dann gibt es noch die speziellen Jugendwerke für die jeweiligen Länder, etwa das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW).

Oder erkundige dich in deiner Uni nach den Möglichkeiten: Wer ist für was zuständig, wo kann ich hin, für wie lange und welche Anforderungen gibt es, damit ich das Studium nach dem Auslandsstudium weiterführen kann – ganz ohne Zeitverlust.

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