Wandern mit Alpakas und Lamas liegt voll im Trend. Aber seid ihr schon mit Eseln unterwegs gewesen? Wenn nicht – der Eselhof Binzig in Wald-Michelbach bietet allerlei Touren mit den mittlerweile vier Tieren an.
Emilios Schrei schallt wie ein Nebelhorn durch die Stille. Er ist der verschmusteste, aber auch lauteste der drei Esel, die Natascha Glosauer und Dieter Kessel in Wald-Michelbach auf dem „Eselhof Binzig“ halten. Dann sind da noch die neugierige Yola und die gutmütige Liesl – mit ihnen geht Glosauer gern auf tierische Wanderschaft.
Heute hat Emilio keine Lust, spazieren zu gehen. Der sechsjährige hellgraue Wallach mit dem frechen Wuschelpony sehnt sich stattdessen nach langen Streicheleinheiten. Als ihm Natascha Glosauer die Trense überziehen will, trottet er lieber zum hintersten Teil des Auslaufs. Lieschen Müller, die dunkelbraune Eseldame, scharrt aus Langeweile und Ungeduld hingegen schon mit den Hufen. Und die Ohren der schwarzen, neugierigen Yola stehen quasi dauerhaft auf Sendungsempfang. Normalerweise bringt die Tiere so schnell nichts aus der Ruhe, schließlich leben bei Natascha Glosauer mitunter auch noch zwei Hunde und drei Katzen.

Doch heute gibt es einen Grund für das rege Treiben vor dem Haus „Im Binzig“ in Wald-Michelbach: Natascha Glosauer hat Geburtstag, eine Wanderung mit Familienmitgliedern, Freunden, Bekannten und Nachbarn zur Grillhütte in Ober-Schönmattenwag ist geplant. Und weil bei rund zehn Kilometern durch den Schnee auch die Verpflegung nicht fehlen darf, bringt Glosauer Körbe mit Lebkuchen, Glühwein und Keksen an dem hölzernen, maßgefertigten Sattel von Lieschen Müller an.Die Nachbarinnen Sonja und Gaby sowie Kirsten, eine Bekannte, sind schon seit heute Morgen da.
Letztere hat schon innige Bekanntschaft mit den Eseln gemacht – insbesondere mit Emilio, der für Streicheleinheiten gerne mal das Futter stehen lässt. Einmal hat Kirsten ihn nahezu bewusstlos gestreichelt, sagt Glosauer lachend. Und auch jetzt ist Emilio durch und durch entspannt: Seine Unterlippe löst sich und die Augenlider fallen ihm fast zu, während ihm Kirsten über den Rücken streichelt. Auch für sie sind die Ausflüge mit den Eseln immer wieder eine Erfahrung, denn selbst habe sie keine Haustiere, sagt Kirsten. Nach und nach fahren immer mehr Autos vor, aus denen warm eingepackte Menschen aussteigen. Lächelnd empfängt Glosauer die Gäste und bereitet nebenher die Esel auf die Wanderung vor.
Da muss auch mal bestimmter durchgegriffen werden. Lieschen Müller will den Schweif nicht anheben oder bläht ihren Bauch auf, damit Glosauer den Sattelgurt nicht schließen kann. „Einmal hat sie sich derart lang aufgebläht, dass sie in die Knie gesunken ist“, erzählt Glosauer. Die nunmehr 51-jährige Heilpädagogin ist eine wahre Esel-Närrin. Den ganzen Tag lang könnte sie nur von ihren Tieren sprechen, gibt sie zu. Dafür hat sie ihren „Esel-Stammtisch“ zusammen mit weiteren Fans aus Unter-Schönmattenwag, Walldürn und Miltenberg. Gemeinsam bestreiten sie zusammen mit ihren Eseln den Nibelungensteig oder den Limes-Wanderweg und tauschen dabei untereinander Fachwissen aus.

Yola wählt ihre Besitzerin aus
Dabei hatte Glosauer vor vier Jahren nicht damit gerechnet, was auf sie zukommt, als ihr ein Pferdezüchter das kleine Eselsfohlen Yola schenkte: „Er hat gescherzt, ich könnte mir einen Esel aussuchen“, erinnert sich Glosauer. „Aber Yola hat im Grunde mich ausgesucht, nicht umgekehrt. Sie war gerade mal ein halbes Jahr alt, aber sie wusste längst, wie man die Stalltür aufmacht und ist mir immerzu nachgelaufen. Sie war die Mutigste von allen, frech und vorlaut. Und ich habe sie mit Küsschen überhäuft und verwöhnt – vielleicht etwas zu sehr“, sagt Glosauer grinsend. Dreißig Jahre lang hielt ihre Familie Pferde. „Darum dachte ich zunächst, dass sich die Haltung bei Eseln nicht sonderlich unterscheidet.“ Dass das so nicht stimmt, erfährt Glosauer schnell.
Schon früh geht sie mit Yola auf Wanderschaft. Der Trend – das Wandern in Gesellschaft von Tieren – steht derzeit hoch im Kurs, gerade die Spaziergänge mit Alpakas oder Lamas. Esel punkten vor allem durch ihre Gutmütigkeit, und dass sie mit Leichtigkeit lange Strecken zurücklegen. Außerdem sind Esel schwer aus der Fassung zu bringen.„Esel sind sehr vorsichtig. Sie denken lieber einen Tick länger nach, denn sie können es sich nicht leisten, sich in Gefahr zu begeben und sich damit zum Beispiel ein Bein zu brechen“, erklärt Glosauer. Darum ist die Annahme verbreitet, dass die Tiere stur oder gar dumm seien. Von wegen – Yola findet gern heraus, ob ein Draht mit Strom versetzt ist. Wenn nicht, haut sie gern ab – ohne sich einen Schlag zu holen.
Damit Yola nicht allein bleibt, kam wenige Wochen später Lieschen dazu, die aus derselben Herde stammt. Im Sommer 2017 stieß dann der von der Tierschutzinitiative Odenwald vermittelte, heute sechsjährige Emilio dazu, der sich längst von seinem einstigen schlechten Zustand erholt hat. Ein vierter Esel soll bald zum Ausgleich dazustoßen, damit die wilden Beißspiele untereinander nicht immer zulasten eines Einzelnen ausfallen.
Esel sind zwar Herdentiere, sie haben jedoch keine feste Rangordnung, sagt Glosauer, während sie Lieschen Müller striegelt, und fährt fort, Wissenswertes aus der „Eseologie“ zu vermitteln. So können die Tiere bis zu 45 Menschenjahre alt werden – „also ernähre ich mich besonders gesund“, sagt Glosauer und lacht. Esel sind zudem keine Reittiere, die Last auf ihrem Rücken darf nur 20 Prozent ihres Körpergewichts betragen. Esel leben ursprünglich in kargen Steinwüsten und laufen kilometerweit für dürre Gräser. „Hier sterben sie quasi an Luxuskrankheiten wie einer Lungenentzündung. Denn Esel sind nicht wasserdicht, ihr Fell saugt sich schnell voll. Sie können auch an Überfettung sterben“, erklärt Glosauer. Ihre Drei hätten in diesem Herbst auf dem 1,5 Hektar großen Grundstück viele Eicheln gefunden und sind nun erst einmal auf Diät. Viel Bewegung hilft da auch. Mittlerweile sind Esel und Besuchergruppe bereit. Der Zug setzt sich in Bewegung — und Emilio packt schlussendlich doch die Wanderlust.
